Der Wert der Vielfalt

Bern, 04.06.2010 - „Festival der Vielfalt“ / SWISSAID. Rede von Bundesrat Moritz Leuenberger.

Der Bundesplatz ist gewiss der passende Platz für ein Festival der Vielfalt.

Hier verkaufen die Bauern aus der Region jede Woche eine Vielfalt von Gemüse, Früchten und Blumen und im Treibhaus nebenan spriesst die Politdiversität.

  • Dort gibt es Mimosen und Chamäleons,
  • es gibt Platzhirsche, Pfauen und Papageien,
  • es gibt Symbiosen und Schmarotzer und auch
  • einige Saurier, die immer noch nicht ausgestorben sind.

Sie alle haben diese Woche im Treibhaus nebenan um Klimaschutz gerungen. Es zeigte sich auch  eine eigentliche Artenvielfalt von Meinungen und von Anträgen. Politische Saftwurzeln und empfindliche Pflänzlein prägten seltsame Stilblüten und wundersame Umrankungen.

Die Diskussionen um die Klimapolitik erinnern an diejenigen über biologische Vielfalt:

  • Klimawandel habe es doch schon immer gegeben, wird gesagt.
  • Ebenso hören wir: Die Artenvielfalt hat sich schon immer verändert: Arten verschwanden, es kamen aber auch neue dazu.
  • Das ist tatsächlich so. Letztes Jahr hat man tatsächlich 5 neue Arten entdeckt. Gleichzeitig sind jedoch 365 Arten verschwunden.
  • Wie beim Klimawandel ist auch hier nicht die Veränderung an sich, sondern das Tempo der Veränderung beängstigend.
  • Im Vergleich zum 19. Jh. verläuft der Artenschwund heute 1000 Mal schneller.
  • Und dieses Tempo wird, wie beim Klimawandel, massiv beschleunigt durch die Eingriffe von uns Menschen in die Natur.
  • Eine Mehrheit für klimapolitische Massnahmen ergab sich erst mit der Erkenntnis über die
  1. ökonomischen Folgen des Klimawandels,
  2. mit der Erkenntnis, was vermehrtes Hochwasser in unseren Bergen kostet, mit der Erkenntnis,
  3. was die Migration wegen Krieg um Wasser und wegen Überschwemmungen in der südlichen Hemisphäre auch für uns bedeutet.

Bei der Artenvielfalt ist es nicht anders.

  • Was sie für einen Wert hat, sehen viele erst, wenn dieser in Franken und Rappen ausgedrückt wird.

Und so argumentieren wir damit, was die Biodiversität uns Menschen alles an materiellen Werten bringt:

  • Dass wir uns von Pflanzen und Tieren ernähren.
  • Dass Würmer und Bakterien Böden bilden und dafür sorgen dafür, dass sie fruchtbar bleiben.
  • Dass uns die Biodiversität gesund hält, weil der Mensch aus Spinnen, Fröschen oder Tausendfüsslern allerhand Medikamente gewinnen kann.

Wir zerlegen, messen und zählen.
Es wird gerechnet und die Nützlichkeit abgewogen. Pflanzen und Tieren werden Preisschilder umgehängt, welche die ökonomische Leistung auf Franken und Rappen genau beziffern.
Dies entspricht der ökonomischen Logik, welche gegenwärtig die globalisierte Welt dominiert und damit also auch unser Verhältnis zur Natur prägt.
Und so wissen wir heute:

  • Eine Blaumeise erbringt im Lauf ihres irdischen Daseins - durch das Vertilgen und von Insekten und dem Verbreiten von Samen - eine volkswirtschaftliche Leistung von 157 Franken.
  • Die saisonale Bestäubungsleistung einer Biene lässt sich mit 7.40 Franken beziffern.
  • US-Forscher haben sogar errechnet, was es kosten würde, wenn der Mensch weltweit alle Pflanzen selbst mit dem Pinsel bestäuben müsste - nämlich 8 Milliarden Dollar.

Nach dieser Denkart wird heute zunehmend auch Umweltpolitik betrieben.
Es wird berechnet, welchen Wert einzelne Teile der Natur für den Mensch haben und der Grad ihres Schutzbedürfnisses wird entsprechend festgelegt.

Innerhalb der Diskussion über Biodiversität gibt es auch eine starke Strömung, die kritisiert, dass einfach über alle Arten, die verschwinden, geklagt wird. Artenschutz müsse sich in erster Linie um diejenigen Pflanzen und Tiere kümmern, die den Menschen nützlich seien, sonst verkomme die Diskussion zu einem nostalgischen Gejammer und übersehe, dass im Laufe der Jahrtausenden immer wieder Arten verschwunden, aber auch neue entstanden seien.

Wer heute der Umweltpolitik und also auch dem Gedanken der Biodiversität  zum Durchbruch verhelfen will, kommt an diesen Argumenten nicht vorbei.
Auch ich argumentiere in Parlament und im Bundesrat mit der Nützlichkeit und mit dem ökonomischen Wert der Artenvielfalt.
Und doch: Das ist ein gefährlicher Weg.

  • Es besteht dann nämlich nur noch ein kleiner Schritt dazu, auch von Lebewesen zu sprechen, die nicht nur wenig, sondern gar nichts wert sind, nämlich von unwertem Leben.
  • Es besteht dann nur noch ein kleiner Schritt, auch den Wert eines einzelnen Menschen zu berechnen, in der Gesundheitspolitik oder bei Fragen der Sterbehilfe.
  • Es besteht dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, dabei sogar Menschen als wertlos zu bezeichnen.

Nicht alles kann, nicht alles darf in Franken und Rappen ausgedrückt werden, weder der Wert von Menschen noch derjenige des Glücks. Das wahre Leben ist reicher.
Und so geht es auch bei der Vielfalt des Lebens um viel mehr als bloss um Geld. Die biologische Vielfalt ist nicht nur unsere Rohstoffbasis, sondern unsere Umwelt, unsere Grundlage des Lebens und das Leben ist kein Börsenkurs.

  • Kartoffeln, Äpfel und Zucchetti sind deshalb mehr als nur Kalorien und Vitamine für uns Menschen.
  • Frösche, Spinnen und Tausendfüssler mehr als Substrate für Medikamente gegen unsere Magengeschwüre und Herzschwächen.
  • Pflanzen und Tiere sind Werte als solche, mehr als ökonomische Werte.

Ohne das Leben von Tieren und Pflanzen gebe es uns Menschen nicht.

Ohne Pflanzen und Tiere wäre die Welt wüst und leer. Ohne die Vielfalt von Flora und Fauna wäre unser Leben arm und unsere Seelen blieben dumpf und öde.

Doch heute auf dem Bundesplatz sehen wir Saatgut aus allen Teilen der Welt und es ist uns froh ums Herz, denn

  • Saatgut ist der Inbegriff für Fruchtbarkeit und Leben.
  • Saatgut entfaltet eine Fülle von Farben, Gerüchen und Geschmäckern und wird von Generation zu Generationen weitergegeben.

Wir können seinen ökonomischen Wert ausrechnen. Doch es geht um mehr als das. Deswegen freuen wir uns über die heutige Vielfalt auf dem Bundesplatz.


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