Erklärung des Bundesrates: Vernichtung brisanter Informationen unter internationaler Aufsicht

Bern, 23.05.2008 - Im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens hat die Bundesanwaltschaft (BA) Dokumente und Datenträger mit nukleartechnologischem Inhalt beschlagnahmt. Aus Sicherheitsgründen und aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen hat der Bundesrat beschlossen, dieses gefährliche Material unter Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur vernichten zu lassen.

Die Bundesanwaltschaft führte seit Oktober 2004 ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen Verstosses gegen das Kriegsmaterialgesetz und das Güterkontrollgesetz gegen die Gebrüder U. und M. T. Das Verfahren wurde später auf deren Vater F. T. ausgedehnt. Im Zuge der Ermittlungen wurden bei den Beschuldigten äusserst umfangreiche Dokumente und elektronische Datenträger sichergestellt. Während der Auswertung dieses Materials stellte die BA dessen sicherheits- und aussenpolitische Brisanz fest: Es handelte sich insbesondere um detaillierte Baupläne für Nuklearwaffen, für Gasultrazentrifugen zur Anreicherung von waffenfähigem Uran sowie für Lenkwaffenträgersysteme. Mitarbeitende der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) wurden von der Bundesanwaltschaft für die Auswertung der Daten beigezogen.

Im Laufe des Jahres 2006 haben wir aus Hinweisen darauf geschlossen, dass verschiedene offizielle Atomwaffenstaaten Kenntnis erlangt hatten, dass die Schweiz im Besitze von hochbrisanten Dokumenten war, welche ursprünglich aus dem Umfeld von A.Q. Khan - dem „Vater" der pakistanischen Atombombe - stammten. Im Oktober 2006 gelangte zudem die IAEA an die Schweiz und ersuchte um offizielle Einsicht in den entsprechenden Datenbestand.

Mit Blick auf die sicherheits- und aussenpolitischen Risiken, welche durch den Besitz der bei der Familie T. sichergestellten Datenträger und Dokumente entstanden, gelangte die Bundesanwaltschaft an den damaligen Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD). Dieser setzte in der Folge eine Arbeitsgruppe unter Einbezug des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ein. Gestützt auf deren Empfehlungen und auf Antrag des EJPD nahm der Bundesrat mit Beschluss vom 1. November 2006 vom Vorhandensein des brisanten Materials Kenntnis und stimmte der formalisierten Kooperation mit der IAEA zu.

Ein weiterer Bundesratsbeschluss erfolgte am 29. August 2007. Damit lehnte der Bundesrat die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Verdachts der Widerhandlung gegen Art. 271 des Strafgesetzbuchs (Verbotene Handlungen für einen fremden Staat) und Art. 301 des Strafgesetzbuchs (Nachrichtendienst gegen fremde Staaten) gegen die Gebrüder T., deren Vater sowie weitere Unbekannte ab. Dieser Beschluss stützte sich auf Art. 105 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (Entscheidkompetenz des Bundesrates über die gerichtliche Verfolgung politischer Vergehen).

Ausserdem war der fortdauernde Besitz der bei Familie T. beschlagnahmten nukleartechnologisch relevanten Dokumente mit den Verpflichtungen der Schweiz aus dem internationalen Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) vom 1. Juli 1968 nicht vereinbar. Zudem stellten die in den Dokumenten enthaltenen Informationen ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Schweiz und die Staatengemeinschaft dar. Unter allen Umständen galt es zu vermeiden, dass diese Informationen in die Hände einer terroristischen Organisation oder eines unberechtigten Staates gelangten. Um einer solchen Gefahr wirksam zu begegnen und um den vertraglichen Verpflichtungen aus dem NPT nachzukommen, beschloss der Bundesrat am 14. November 2007, den umfangreichen Bestand der bei der Familie T. beschlagnahmten Datenträger und Dokumente durch die Bundeskriminalpolizei unter Aufsicht der IAEA vernichten zu lassen. Ich erinnere daran, dass Art. 184 Abs. 3 der Bundesverfassung dem Bundesrat die Kompetenz einräumt, Entscheide zur Wahrung der aussenpolitischen Interessen des Landes zu treffen. Ausserdem ist die Regierung gemäss Art. 185 Abs. 3 der Bundesverfassung zuständig, Massnahmen zu ergreifen, um schwere Störungen der inneren oder äusseren Sicherheit abzuwehren. Von diesem Beschluss nicht betroffen waren die übrigen Strafakten wie Einvernahmeprotokolle, Rechtsschriften etc.

Das Strafverfahren gegen die Gebrüder T. und deren Vater ist zur Zeit beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hängig.

Die Geschäftsprüfungsdelegation, welche die parlamentarische Oberaufsicht im Geheimbereich wahrnimmt, ist vom Bundesrat laufend über die Entwicklungen im Fall T. informiert worden.


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