Ermordung eines ägyptischen Diplomaten 1995 in Genf: Bundesanwaltschaft reicht Anklage ein

Bern, 16.08.2024 - Im November 1995 wurde der damalige stellvertretende Leiter des Handelsbüros der ägyptischen Mission in Genf in einer Parkgarage erschossen. Die Bundesanwaltschaft (BA) eröffnete ein Strafverfahren, welches 2009 sistiert werden musste, da die Täterschaft nicht ermittelt werden konnte. Aufgrund neuer Erkenntnisse hat die BA das betreffende Strafverfahren 2018 wieder aufgenommen und nun gegen einen 54-jährigen ivorisch-italienischen Doppelbürger und eine 49-jährige schweizerisch-italienische Doppelbürgerin Anklage beim Bundesstrafgericht eingereicht.

Der damalige stellvertretende Leiter des Handelsbüros der ägyptischen Mission in Genf, ein damals 42-jähriger ägyptischer Staatsbürger, wurde am 13. November 1995 mit sechs Schüssen aus einer halbautomatischen Pistole in der Parkgarage im Untergeschoss seines Wohnhauses in Genf erschossen. Die Täterschaft flüchtete und liess am Tatort den Pistolen-Schalldämpfer zurück. Dabei handelte es sich um eine handwerklich gefertigte Vorrichtung, gewonnen aus Schaumstoff von Autokopfstützen und zusammengehalten von Klebeband.     

Ermittlungen ab 1995 bis 2009    
Aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Strafverfolgung in Bezug auf Delikte gegen diplomatisch geschützte Personen eröffnete die BA umgehend nach der Tat ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung, sowie subsidiär wegen des Verdachts des Mordes. Bis 2009 wurden durch die Bundeskriminalpolizei umfangreiche Ermittlungen durchgeführt, insbesondere auch bezüglich eines auf dem Schalldämpfer sichergestellten Fingerabdrucks. Dieser wurde in das nationale automatisierte Fingerabdruck-Identifikationssystem (AFIS) eingespeist und von der Bundeskriminalpolizei via Interpol an 68 Länder zum Abgleich weitergeleitet. Die diesbezüglichen Massnahmen erzielten jedoch keinen Treffer in den jeweiligen Datenbanken.    

2004 konnten aufgrund erheblicher Fortschritte bei der Analyse von DNA-Spuren ein weibliches und mindestens drei männliche DNA-Profile auf dem Schalldämpfer extrahiert werden. Da davon nur das weibliche DNA-Profil den entsprechenden Anforderungen genügte, wurde dieses wiederum in den dafür vorgesehenen Systemen eingegeben und an Interpol weitergeleitet. Der Abgleich blieb wiederum ohne Ergebnis. Da trotz umfangreicher und langjähriger Ermittlungsarbeiten die Täterschaft nicht identifiziert werden konnte, sistierte die BA das Strafverfahren im Dezember 2009.    

Wiederaufnahme des Strafverfahrens aufgrund neuer Erkenntnisse 2018    
Im Juni 2016 wurde ein neues nationales AFIS in Betrieb genommen, das aufgrund des technologischen Fortschritts deutlich verbesserte Erkennungsalgorithmen verwendet. In der Folge wurden bisher ungelöste Spuren – vornehmlich im Zusammenhang mit schweren Straftaten – mit dem neuen AFIS abgeglichen, um von der höheren Trefferquote zu profitieren. Bei dieser Cold-Case-Bearbeitung konnte schliesslich eine Übereinstimmung zwischen der Fingerabdruckspur auf dem Schalldämpfer und dem Fingerabdruckbogen des vorliegend angeklagten, heute 54-jährigen ivorisch-italienischen Doppelbürgers festgestellt werden. Der betreffende Fingerabdruckbogen des Beschuldigten war 2011 in Genf erstellt worden.     

Die BA hat daher im Januar 2018 die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügt und das Verfahren auf den 54-jährigen Beschuldigten mit Wohnsitz in Frankreich ausgedehnt. Im Verlauf der weiteren getätigten Ermittlungen, insbesondere auch der Auswertung der auf dem Schalldämpfer sichergestellten DNA-Profile, wurde das Verfahren danach auch auf die angeklagte, heute 49-jährige schweizerisch-italienische Doppelbürgerin mit Wohnsitz in Genf ausgedehnt.     

Die BA hat den 54-jährigen Beschuldigten in diesem Kontext wegen Mordes angeklagt (Art. 112 StGB). Ihm wird vorgeworfen, den damals 42-jährigen stellvertretenden Leiter des Handelsbüros der ägyptischen Mission in Genf vorsätzlich mit sechs Schüssen getötet zu haben, wobei er mit besonderer Skrupellosigkeit gehandelt haben soll. Gemäss Anklage soll er vor der Tat zusammen mit der Mitangeklagten den Schalldämpfer hergestellt haben.

Der Beschuldigte wurde im Oktober 2018 wegen des Vorwurfs in diesem Zusammenhang verhaftet und befand sich bis Mai 2020 in Untersuchungshaft. Im Mai 2020 wurde er aufgrund eines Entscheids des Bundesgerichts im Zusammenhang mit einer Haftentlassungsbeschwerde des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft entlassen. Im Dezember 2021 wurde er im Rahmen eines kantonalen Verfahrens, welches unter anderem wegen des Verdachts der Vergewaltigung geführt wurde, erneut festgenommen und in Untersuchungshaft gesetzt. Die BA hat dieses Verfahren danach vom Kanton übernommen, da sie gegen den Beschuldigten bereits wegen des Verdachts des Mordes ermittelte. Der Beschuldigte befand sich in der Folge bis zur Erhebung der Anklage in Untersuchungshaft. Mit Einreichen der Anklage hat die BA Sicherheitshaft für ihn beantragt.

Die 49-jährige schweizerisch-italienische Doppelbürgerin hat die BA wegen Gehilfenschaft zum Mord angeklagt (Art. 112 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB). Ihr wird vorgeworfen, den für die Tat verwendeten Schalldämpfer zusammen mit dem 54-jährigen Beschuldigten hergestellt zu haben. Die Beschuldigte wurde im November 2018 verhaftet und befand sich bis Ende Dezember 2018 in Untersuchungshaft.

Weitere Anklagepunkte gegen den 54-jährigen ivorisch-italienischen Doppelbürger    
Die BA hat gegen den 54-jährigen ivorisch-italienischen Doppelbürger zusätzlich auch Anklage wegen folgender Tatbestände erhoben:
Einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB), verbotene Gewaltdarstellungen (Art. 135 StGB), Sachbeschädigung (Art. 144 StGB), Betrug (Art. 146 StGB), ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB), Misswirtschaft (Art. 165 StGB), Unterlassung der Buchführung (Art. 166 StGB), unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen (Art. 179ter StGB), Drohung (Art. 180 StGB), Freiheitsberaubung (Art. 183 StGB), sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB), Vergewaltigung (Art. 190 StGB), Pornografie (Art. 197 StGB), Geldwäscherei (Art. 305bis StGB), Anstiftung zu falschem Zeugnis (Art. 307 StGB in Verbindung mit Art. 24 StGB), Fahren ohne Berechtigung (Art. 95 des Strassenverkehrsgesetzes, SVG), Missbrauch von Ausweisen und Schildern (Art. 97 SVG), Rechtswidrige Einreise und Ausüben einer Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung (Art. 115 des Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG), Täuschung der Behörden (Art. 118 AIG) und Verstoss gegen Art. 22 des interkantonalen Konkordats über Sicherheitsunternehmen und seine Richtlinien.     

Die gerichtspolizeilichen Ermittlungen wurden im Rahmen einer nationalen, aber auch intensiven internationalen Zusammenarbeit durchgeführt. Die Bundeskriminalpolizei von fedpol wertete im Auftrag der BA mit verschiedenen forensischen Diensten und mit modernster Technik die forensischen Spuren aus und analysierte umfangreiche digitale Daten. Des Weiteren wurden im Rahmen des Strafverfahrens mehrere Dutzend Einvernahmen durchgeführt.

Ab dem jetzigen Zeitpunkt ist das Bundesstrafgericht in Bellinzona für die weitere Information der Medien zuständig, dies gilt auch für die Haftsituation des Beschuldigten. Die Strafanträge gibt die BA wie üblich anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Bundesstrafgericht bekannt. Bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils gilt die Unschuldsvermutung.


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